Er überlegte nicht mehr lange, dazu hatte er keine Zeit mehr. Ihm blieb nichts anderes übrig, als das Engelchen mit seinen Krallen aufzufangen. Er war sehr geschickt im Beute jagen, aber im Flug einen kleinen Engel zu greifen, das war schon eine große Herausforderung für unseren Steinadler. Er war ein alter und flugerfahrener großer Greifvogel. Er hatte nur einen Versuch und der musste erfolgreich sein. Sonst würde sich das kleine Engelchen schwer verletzen - sich seine Flügelchen brechen - so dass es nicht mehr fliegen, und auch nicht mehr zu seiner Wolke zurückkehren könnte.
Jetzt hatte unser Steinadler eine große Aufgabe zu erledigen.
Er flog immer kleinere Kreise um das Engelchen herum, bis er in gleicher Höhe mit ihm war. Es gab nur einen einzigen Versuch! Zu mehr hatte der Adler und der kleine Engel keine Zeit mehr. Die Erdanziehungskraft hatte das Engelchen bereits erreicht. Es purzelte immer schneller und tiefer.
Jetzt hatte sich der Steinadler soweit dem Engelchen genähert - jetzt - oder nie. Und - JETZT flog er ganz vorsichtig und pfeilschnell auf das Engelchen zu und spreizte seine Krallen, und erfasste das flatternde Kleidchen des Engelchens. Oh je ... so ein dünnes leichtes Kleidchen, hoffentlich hält es. Der Adler konnte mit seiner „Beute“ nicht auf der Erde landen - da die Gefahr bestand, dass die Krallen sich zu fest in das Engelchen bohrten.
Was sollte er tun? Er überlegte und kreiste abwärts in Richtung Erde - bis er endlich eine gute Idee hatte. Das dauerte nur eine Sekunde lang.
Er sah nach unten auf die Bergwelt - es war Winter - und überall lag tiefer Schnee. Das war eine gute Möglichkeit. Ja so würde es gehen. Er suchte sich eine große freie Fläche mit viel Schnee aus, und kreiste weiter in immer kleineren Kreisen, immer tiefer und tiefer zur Erde hinunter.
Das Engelchen hatte sich furchtbar erschrocken, als es von einer Wolke zur anderen herunterrutsche und dann ins Freie purzelte. Es hatte vor lauter Angst die Augen fest geschlossen und wollte lieber nicht sehen, was nun passierte. Als sie plötzlich von riesigen Krallen aufgefangen wurde, hatte es sich noch mehr erschrocken. Der Adler sprach mit dem Engelchen, und sagte zu ihm, es soll sich ohne Angst von ihm tragen lassen. Er würde es in den weichen Schnee setzen. So konnte dem Engelchen nicht so viel passieren.
Dem Adler ist ein sehr guter Gedanke gekommen. Er kannte hier heroben einen Hirten, der zur Weihnachtszeit immer auf seiner Alm blieb, weil er die Stillezeit hier in den Bergen liebte. Dort wollte er das Engelchen hinbringen.
Er ließ es ganz langsam in den weichen Schnee fallen. Es beruhigte sich sehr schnell, weil der Schnee so schön weich war, wie die Wolken auch. Der Adler sagte zum Engelchen, dass er jetzt Hilfe holen würde. Er erzählte vom Hirten Bartl, der sehr lieb war, und den Adler einmal gesundpflegte, als er sich einen Flügel gebrochen hatte.
Der Steinadler hatte das Engelchen in die Nähe der Almhütte in den Schnee gesetzt. Das Engelchen erholte sich währenddessen etwas von seiner Angst. Der Adler hüpfte zur Hütte und klopfte mit seinem Schnabel an die Hüttentür. Er klopfte 3 x und noch 3 x. Das was das Zeichen, das ihm der Hirte einmal gelernt hatte.